- Wann sind schwerbehinderte Arbeitnehmer besonders vor einer Kündigung geschützt?
- Was gilt bei einer Kündigung in der Probezeit?
- Darf der Arbeitgeber Schwerbehinderten in der Probezeit grundlos kündigen?
- So sind Schwerbehinderte in der Probezeit dennoch geschützt
- Probezeitkündigung erhalten – Was tun?
- Fazit
1. Wann sind schwerbehinderte Arbeitnehmer besonders vor einer Kündigung geschützt?
Liegt der Grad der Behinderung unter 30, gelten in den allermeisten Fällen keine besonderen Kündigungsschutzvorschriften.
Gemäß § 168 SGB IX darf der Arbeitgeber einem schwerbehinderten Arbeitnehmer nur dann kündigen, wenn das Integrationsamt vorher der Kündigung zugestimmt hat. Hierzu muss der Arbeitgeber einen förmlichen Antrag an das Integrationsamt stellen. Diese Regelung gilt nicht nur für ordentliche Kündigungen, sondern auch für außerordentliche Kündigungen. Des Weiteren ist der Arbeitnehmer durch eine Kündigungsfrist von mindestens vier Wochen (§ 169 SGB IX) zusätzlich vor Überrumpelung geschützt.
Neben dem Integrationsamt muss der Arbeitgeber auch die Schwerbehindertenvertretung über die beabsichtigte Kündigung informieren und anhören (§ 178 Abs. 2 SGB IX). Andernfalls ist die Kündigung unwirksam (§ 178 Abs. 2 S. 3 SGB IX).
Besteht ein Betriebsrat muss auch dieser vorab über die geplante Kündigung informiert und angehört werden (§ 102 BetrVG).
Schwerbehinderte Arbeitnehmer, die noch keine sechs Monate im Unternehmen tätig sind, unterliegen also grundsätzlich nicht den besonderen Vorschriften zum Kündigungsschutz. Eine Zustimmung des Integrationsamtes ist also beispielsweise in diesem Zeitraum nicht erforderlich.
Der besondere Kündigungsschutz gilt auch nach sechsmonatigem Bestehen des Arbeitsverhältnisses nicht lückenlos. So entfällt der besondere Kündigungsschutz bei schwerbehinderten Arbeitnehmern, die bereits das 58. Lebensjahr vollendet haben und einen Anspruch auf eine Abfindung, Entschädigungszahlung oder eine ähnliche Leistung auf Grund eines Sozialplanes haben (§ 173 Abs. 1 Nr. 3 a) SGB IX).
2. Was gilt bei einer Kündigung in der Probezeit?
In der Probezeit darf der Arbeitgeber das Arbeitsverhältnis grundsätzlich ohne Angabe von Gründen kündigen. Ein Fehlverhalten des Arbeitnehmers oder schlechte Arbeitsleistungen sind also gerade nicht erforderlich, um das Arbeitsverhältnis rechtswirksam zu beenden. Scheitert die Erprobung des Arbeitnehmers aus Sicht des Arbeitgebers, kann dieser sich so leicht wieder von dem Arbeitsvertrag lösen.
Die Kündigungsfrist beträgt während der Probezeit meist zwei Wochen, kann jedoch durch tarifliche oder arbeitsvertragliche Vereinbarungen verlängert werden. Eine Verkürzung ist allenfalls durch Tarifvertrag möglich, in der Praxis aber äußert selten.
In den meisten Arbeitsverträgen ist eine Probezeit von sechs Monaten vorgesehen. Die Probezeit kann auch kürzer sein. Eine längere Probezeit ist hingegen unzulässig (§ 622 Abs. 3 BGB).
Nach Ablauf der Probezeit greifen wieder die regulären Kündigungsschutzbestimmungen.
3. Warf der Arbeitgeber Schwerbehinderten in der Probezeit grundlos kündigen?
Grundsätzlich ja. Da der besondere Kündigungsschutz erst nach sechs Monaten greift, darf der Arbeitgeber auch schwerbehinderten Arbeitnehmern in der Probezeit ohne Angabe von Gründen kündigen.
Eine Zustimmung des Integrationsamtes zur Kündigung ist während der Probezeit ebenfalls nicht erforderlich.
4. So sind Schwerbehinderte in der Probezeit dennoch geschützt
Der EuGH hat diese weitreichenden Kündigungsmöglichkeiten inzwischen jedoch erheblich eingeschränkt und auch hier die Rechte von Schwerbehinderten gestärkt.
Voraussetzung dafür ist, dass der Arbeitnehmer die notwendige Kompetenz und Fähigkeiten für eine andere Beschäftigung mit sich bringt und eine solche im Unternehmen auch verfügbar ist.
Wenn möglich, muss der Arbeitgeber Maßnahmen ergreifen, um den Arbeitsplatz der Behinderung entsprechend zu gestalten (z.B. Umgestaltung der Arbeitsräumlichkeiten). Der Arbeitsgeber darf nach Vorgaben des EuGH hierdurch jedoch nicht unverhältnismäßig belastet werden.
Auch das Landesarbeitsgericht Köln hat inzwischen bestätigt, dass der Arbeitgeber auch während der sechsmonatigen Wartefrist vor einer Kündigung zunächst ein sog. Präventionsverfahren durchführen muss (LAG Köln, Urt. V. 12. 09.2024 – Az. 6 SLa 76/24). Die in § 167 Abs. 1 SGB IX verankerte Präventionspflicht entsteht demnach nicht erst nach sechsmonatiger Beschäftigung, sondern unmittelbar mit Beginn der Beschäftigung.
Die Präventionspflicht verpflichtet den Arbeitgeber, bei Auftreten von personen-, verhaltens- oder betriebsbedingten Schwierigkeiten, die zu einer Gefährdung des Arbeitsverhältnisses führen können, frühzeitig die Schwerbehindertenvertretung und das Integrationsamt einzuschalten. Dabei sollen alle Möglichkeiten und alle zur Verfügung stehenden Hilfen zur Beratung und mögliche finanzielle Leistung für den Arbeitnehmer besprochen werden. Ziel ist dabei stets die dauerhafte Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses.
Kündigt der Arbeitgeber, ohne entsprechende Präventionsmaßnahmen durchgeführt zu haben, verstößt er damit unter Umständen gegen das Diskriminierungsverbot. Gesetzlich wird eine Diskriminierung des schwerbehinderten Arbeitnehmers in diesem Fall vermutet (§ 22 AGG). Kann der Arbeitgeber eine Diskriminierung aufgrund der Schwerbehinderung nicht widerlegen, ist die Kündigung dann unwirksam.
Der Arbeitgeber kann den Vorwurf der Diskriminierung allerdings entkräften. Hierzu muss er belegen, dass die Probezeitkündigung nicht aufgrund der Schwerbehinderung, sondern aufgrund einer gescheiterten Erprobung erfolgt ist.
In der Praxis ist ein Präventionsverfahren während der Probezeit nur schwer durchführbar, denn dieses nimmt regelmäßig viel Zeit in Anspruch. Zeit, die in der Probezeit fehlt. Das LAG Köln hat deshalb die Anforderungen an die Widerlegung durch den Arbeitgeber abgesenkt.
5. Probezeitkündigung erhalten – Was tun?
Wurde Ihnen in der Probezeit gekündigt, sollten Sie schnell reagieren. Gerade bei Probezeitkündigungen von Schwerbehinderten hat eine Kündigungsschutzklage oft gute Aussichten auf Erfolg.
Vielen Arbeitgebern ist nicht bekannt, dass Sie vor der Kündigung ein Präventionsverfahren durchführen müssen. Oft erfolgt eine Kündigung auch nach kurzer Erprobungszeit, sodass eine Durchführung schon zeitlich nicht umsetzbar ist. Aufgrund der gesetzlichen Vermutungsregel (§ 22 AGG) ist in diesen Fällen zunächst davon auszugehen, dass Ihr Arbeitgeber Sie wegen Ihrer Schwerbehinderung diskriminiert. Der Arbeitgeber muss dann darlegen und beweisen, dass er Ihnen nicht wegen Ihrer Schwerbehinderung gekündigt hat.
Für den Arbeitgeber sind solche Kündigungsprozesse mit hohem Risiko verbunden. Die Chancen stehen nicht schlecht, dass ein Arbeitsgericht die Kündigung für unwirksam erklärt und Sie auf Ihren Arbeitsplatz zurückkehren können.
Auch wenn Sie kein Interesse an einer Rückkehr haben, kann sich eine Kündigungsschutzklage lohnen. Steht der Vorwurf der Diskriminierung im Raum, droht der Arbeitgeber sich schadensersatz- und entschädigungspflichtig zu machen (§ 15 AGG). So haben Sie die Chance, für die Kündigung zumindest finanziell entschädigt zu werden.
Weil Arbeitgeber das Prozessrisiko und die damit verbundenen Kosten scheuen, sind sie häufig auch bereit, den Prozess durch eine finanzielle Einigung (Vergleich) zu beenden. Als Arbeitnehmer haben Sie daher durch Einreichung einer Kündigungsschutzklage in der Regel eine bessere Verhandlungsgrundlage als bei einer isolierten Verfolgung von Schadens- oder Entschädigungsansprüchen.
6. Fazit
- Innerhalb der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von Schwerbehinderten ohne Angaben von Gründen mit einer Kündigungsfrist von zwei Wochen gekündigt werden, denn es gilt nur ein eingeschränkter besonderer Kündigungsschutz für Schwerbehinderte.
- Vor einer Kündigung in der Probezeit muss der Arbeitgeber allerdings ein Präventionsverfahren zur Vermeidung der Kündigung durchführen. Andernfalls wird gesetzlich vermutet, dass er den Arbeitnehmer wegen seiner Schwerbehinderung kündigt.
- Der Arbeitgeber kann die Vermutung der Diskriminierung widerlegen. Gelingt ihm das, bleibt die Kündigung wirksam.
- Arbeitnehmer können mit einer Kündigungsschutzklage gegen die Kündigung vorgehen und Schadensersatz oder eine Entschädigungszahlung geltend machen.